Und das meine ich weder ironisch, noch mit jendem anmaßend-trotzigen Stolz, mit dem an sich unhaltbare Positionen gern verteidigt werden. Ich lasse Frauen den Vortritt, helfe ihnen in den Mantel, biete Schwangeren meinen Platz in der U-Bahn an, halte meiner Frau die Autotür auf und trage selbstverständlich die schwereren Einkaufstaschen. Ich tue das nicht, weil ich Frauen für unfähig oder zu schwach halte, sondern weil ich es so gelernt habe. Zu meiner Zeit nannte man das schlicht “Höflichkeit” oder “gutes Benehmen”. Doch das ist, wie ich selbst weiß, ziemlich altmodisch – es fällt unter die Kategorie des “benevolent sexism”, des wohlmeinenden Sexismus.
Ehrlich gesagt, bis vor Kurzem hatte ich von dieser speziellen Form des Sexismus noch nicht mal gehört; auch die Kategorien “moderner Sexismus” und “Neosexismus” waren mir zwar von den Geisteshaltungen, die sie beschreiben, durchaus bekannt – die Nomenklatur kannte ich jedoch noch nicht. Sexismusforschung ist allerdings nicht mein Gebiet, obwohl ich nicht nur anerkenne, sondern aus tiefer Überzeugung unterstütze, dass Gleichstellung und Gleichbehandlung der Geschlechter ein unmittelbar wichtiges Lern- und Erziehungsziel ist.
Ich sollte vielleicht mal verraten, warum mir solche Gedanken überhaupt durch den Kopf gehen: In der aktuellen Ausgabe von Psychology of Women Quarterly ist ein Paper mit dem Titel Seeing the Unseen: Attention to Daily Encounters With Sexism as Way to Reduce Sexist Beliefs erschienen (das zumindest aktuell auch als Pdf frei verfügbar ist, darum verlinke ich es mal <hier), das sich vor allem mit dem Problem beschäftigt, dass es bei Männern – im Gegensatz zu Frauen – nicht genügt, ihren Blick für die alltäglichen Sexismen zu schärfen; Verhaltensanpassung sind um so wahrscheinlicher, je mehr Männer dazu bewogen werden können, sich auszumalen, welche Gefühle und Reaktionen dieses Verhalten bei Frauen auslöst.
Doch während diese Bewusstmachung bei modernem Sexismus (= die Überzeugung, dass sexstische Verhaltensmuster heute keine Rolle mehr spielen, etwa: “Heute ist das doch längst kein Problem mehr”) und Neosexismus (= das Ablehnen von Maßnahmen gegen Diskriminierung auf der Basis des Geschlechts, also: “Dieser ganze Gleichberechtigungskram geht mir gegen den Strich!”) einen gewissen, korrigierenden Effekt zeige, sei der wohlmeindende Sexismus (der Frauen als besonders schützenswert, damit aber auch als dem Mann nicht ebenbürtig ansieht und dadurch zu ihrer Benachteiligung beiträgt) schwerer zu bewältigen – nicht zuletzt, weil er ja in positive Gesten verpackt daher kommt: Die Autorinnen Janet Swim und Julia Becker gehen davon aus, dass Männer “mit geringerer Wahrscheinlichkeit die schädlichen Implikationen des wohlmeinenden Sexismus erkennen, was die Vermutung nahelegt, dass der positive Tonfall solcher Vorfälle deren fundamentalen Sexismus überdeckt.”
Bis hierher würde ich kaum zu widersprechen wagen – vorausgesetzt, dass die “schädlichen Implikationen” tatsächlich nachweisbar sind und nicht einfach automatisch postuliert werden. Diese Unterscheidung jedenfalls würde ich – als sich outender “wohlmeinender Sexist”, der allerdings alle Schuld auf seine jahrzehntelange soziale Konditionierung schiebt – doch machen wollen. Denn es ist eine Sache, einer Frau seinen Platz im Bus anzubieten, eine ganz andere, zu verkünden, dass “meine Frau es nicht nötig hat, zu arbeiten” und ihr damit sehr deutlich den Platz am heimischen Herd zuweisen will. Und auch Frauen werden zugeben, das es ein Unterschied ist, ob Mann ihnen die Wünsche an den sprichwörtlichen Augen abliest (meist ist es eher ein sorfältiges Einfühlen, dass diese unausgesprochene Wunscherfüllung ermöglicht), oder ob er einfach über ihre Köpfe hinweg entscheidet, was “das Beste” für sie sei – und wenn’s nur das Hauptgericht auf der Restaurant-Speisekarte wäre.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich bin mir sicher, dass es diesen innerlich herablassenden, gönnerhaft verniedlichenden Sexismus gibt, und dass er in seiner diskriminierenden Wirkung den anderen Sexismen in nichts nachsteht. Das Problem ist, dass er erstens schwerer zu definieren ist, zweitens aber nicht kategorisch nur auf die Benachteiligung der Frau zu beschränken ist. Wenn mich eine Kollegin als den einzigen Mann im Betrieb bittet, die Bilderrahmen in ihrem neuen Büro aufzuhängen, weil man(n) dazu eine Schlagbohrmaschine braucht (die ich auch erst beim Baumarkt ausleihen muss) – bin ich dann wohlwollend sexistisch, wenn ich dieser Bitte nachkomme? Oder nur kollegial höflich? “Frauen und Kinder zuerst” mag zwar eine antiquierte Ritterlichkeit ausdrücken – aber eine Benachteiligung der Frauen ist darin nicht unbedingt zu erkennen. Und einer Dame am Taxistand – oder, wie in New York üblich, beim Taxiwinken auf der Straße – den Vortritt zu lassen, wird von jener (vor allem, wenn’s regnet) gewiss auch nicht in jedem Fall als herabwürdigend empfunden. Nicht jede Sonderstellung der Frau ist zwingend schon ein Verstoß gegen die Gleichstellung. Und soziale Umgangsformen dienen nicht nur der Feststellung von Rangordnungen.
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